Zwischen Schutz und politischer Spannung – Rückblick auf den Fachtag des PSZ Sachsen-Anhalt

Unter dem Titel „Zwischen Schutz und politischer Spannung – Psychosoziale Arbeit mit vulnerablen Geflüchteten in prekärer Versorgungssituation“ fand am 30. September 2025 in den Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale) der diesjährige Fachtag des Psychosozialen Zentrums für Migrant*innen in Sachsen-Anhalt (PSZ) statt. Mit rund 90 Teilnehmenden aus Praxis, Wissenschaft, Politik und Verwaltung bot die Veranstaltung einen intensiven Austausch über aktuelle Herausforderungen in der psychosozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen.
Gemeinsames Plädoyer für Schutz und Perspektiven
In seiner Eröffnungsrede dankte Mike Keune, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Evangelische Jugendhilfe und Geschäftsführer der St. Johannis GmbH, den Mitarbeiter*innen der Psychosozialen Zentren:
„Sie leisten tagtäglich die wichtige Arbeit, Menschen eine Perspektive zu geben. Unsere drei PSZ-Standorte in Halle (Saale), Magdeburg und Stendal tragen in Sachsen-Anhalt maßgeblich die psychosoziale Regelversorgung für besonders schutzbedürftige Geflüchtete. Dafür braucht es auch eine gesicherte Perspektive für unsere Fachkräfte.“
Susi Möbbeck, Staatssekretärin im Sozialministerium des Landes Sachsen-Anhalt, betonte die gesellschaftspolitische Dimension:
„Integration ist Teil unserer globalisierten Welt. Wir wissen alle, dass Abschottung und eine ‚Grenzen-zu-Politik‘ am Ende kein einziges Problem lösen. Lösungen müssen sich mit Fluchtursachen befassen, mit Wegen, die Migration steuerbarer machen und dazu beitragen, dass Menschen auf der Flucht weniger traumatisiert werden. Die psychosozialen Zentren geben dabei Hoffnung und Orientierung. Es reicht nicht, Menschen nur in physische Sicherheit zu bringen.“
Abschließend rief sie zu einem gemeinsamen Blick nach vorn auf:
„In Sachsen-Anhalt gibt es eine engagierte, vernetzte Trägerlandschaft und Fachkräfte, die mit Herzblut und Professionalität jeden Tag für Schutz, Menschenwürde und Solidarität arbeiten.“
Wissenschaftliche Perspektiven auf Flucht und Trauma
Einen wissenschaftlichen Überblick über psychische Belastungen von Geflüchteten gab Dr. Yuriy Nesterko (Universitätsklinikum Leipzig / Zentrum Überleben). Er stellte Forschungsergebnisse zur psychischen Gesundheit von Geflüchteten vor und wies insbesondere auf die oft übersehenen Belastungen nach der Ankunft hin: Postmigrationsstress.
„Ein sicherer Aufenthaltsstatus verbessert nachweislich das psychische Befinden von Geflüchteten. Doch trotz der unermüdlichen Arbeit der Psychosozialen Zentren kann der hohe Versorgungsbedarf aktuell nicht annähernd gedeckt werden.“
Workshops spiegeln die Vielfalt der Herausforderungen
Am Nachmittag boten verschiedene Workshops Gelegenheit, spezifische Themen zu vertiefen. Das Spektrum reichte von geschlechtsspezifischer Verfolgung im Asylverfahren (Barbara Wessel, Rechtsanwältin) über die Versorgung von Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt (Dr. Yuriy Nesterko, Psych. Psychotherapeut) bis hin zu Fragen der Diskriminierung und Teilhabe (u.a. Antidiskriminierungsstelle Sachsen-Anhalt und Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt).
Weitere Workshops thematisierten den Umgang mit Sichtbarkeit und Empowerment von LSBTIAQ*-Personen, Selbstfürsorge für Fachkräfte, sowie die Unterstützung geflüchteter Kinder und Jugendlicher bei Schulverweigerung. Die Nachfrage war groß, viele Räume bis auf den letzten Platz gefüllt.
Blick nach vorn: Was Geflüchteten in unsicheren Zeiten hilft
Den zweiten Fachvortrag übernahm Dipl.-Psych. und Psychologischer Psychotherapeut Florian Harder (Universität Greifswald / PSZ Greifswald), der unter dem Titel „Geflüchtete in unsicheren Zeiten begleiten – was hilft?“ die Ergebnisse seiner eigenen Forschungsarbeit zum Thema der Wirksamkeit von Psychotherapie bei Geflüchteten vorstellte. Ein zentraler Aspekt hierbei war, dass engagierte Psychotherapie die Klient*innen in die Lage versetzen, selbstwirksam und aktiv die eigene Lebenssituation zu gestalten, vor allem während der eigenen aufenthaltsrechtlichen Unsicherheit durch das laufende Asylverfahren. Dies untermauert die wichtige Arbeit der PSZ in ganz Deutschland aus wissenschaftlicher Sicht.
Ein Signal für Vernetzung und Verantwortung
Der Fachtag machte deutlich, wie stark psychosoziale Arbeit mit Geflüchteten im Spannungsfeld von Schutzbedürfnis, gesellschaftlichen Debatten und begrenzten Ressourcen verortet ist. Zugleich wurde sichtbar, dass psychosoziale Versorgung, Integration und gesellschaftliche Teilhabe untrennbar miteinander verbunden sind: Sie bedingen und stärken sich gegenseitig. Diese Zusammenhänge wurden nicht nur in den Vorträgen und Workshops herausgearbeitet, sondern auch im lebendigen Austausch der vielfältigen Akteur*innen aus Integrations- und Geflüchtetenarbeit erfahrbar.
Über das PSZ Sachsen-Anhalt
Das Psychosoziale Zentrum für Migrant*innen Sachsen-Anhalt (PSZ) ist die einzige spezialisierte Einrichtung im Bundesland für psychotherapeutische Behandlungen von geflüchteten Menschen. Seit seiner Gründung 2006 bietet es an den Standorten Halle (Saale), Magdeburg und Stendal Psychotherapie, Sozialberatung und Asylverfahrensberatung mit Sprach- und Kulturmittlung an. Träger ist die St. Johannis GmbH, eine Tochtergesellschaft der Stiftung Evangelische Jugendhilfe.