Psychosoziale Versorgung in der Krise: Massive Kürzungen bedrohen Zentren für Geflüchtete in Ostdeutschland

12.11.2025

Gemeinsame Pressemitteilung der ostdeutschen Psychosozialen Zentren Brandenburg, Greifswald, Neubrandenburg, Rostock, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen

Psychosoziale Versorgung in der Krise: Massive Kürzungen bedrohen Zentren für Geflüchtete in Ostdeutschland

10.11.2025 – In Ostdeutschland sind viele Psychosoziale Zentren (PSZ) in ihrer Existenz bedroht und damit auch die psychosoziale Versorgung für Geflüchtete. Die PSZ sind die einzigen spezialisierten Einrichtungen für traumatisierte und besonders schutzbedürftige Geflüchtete und stellen daher eine unverzichtbare Ergänzung der gesundheitlichen Regelversorgung dar. Bundesweit betreuen sie jährlich rund 30.000 Klient*innen und decken damit schon heute nur 3,1 Prozent des tatsächlichen Bedarfs. Durch drastische Kürzungen der Bundes- und EU-Förderung droht ab 2026 ein erheblicher Versorgungseinbruch, insbesondere in Ostdeutschland. Das hätte gravierende Folgen für Betroffene und Gesellschaft.

Die Bundesregierung plant, die Bundesmittel für die PSZ um 41 Prozent auf nur noch 7,1 Millionen Euro zu kürzen. Die Lage verschärft sich zusätzlich durch die Reduzierung von EU-Mitteln und eine geänderte Verteilungsstruktur. Dadurch stehen den ostdeutschen Bundesländern künftig bis zu 75 Prozent weniger EU-Mittel zur Verfügung als bisher. Nach aktuellem Stand müsste ab dem kommenden Jahr eine entsprechend große Zahl des Fachpersonals entlassen werden.

Teilweise gibt es Bemühungen auf Landesebene, die Finanzierungslücken zu schließen. Generell bleibt allerdings in den ostdeutschen Bundesländern die Situation prekär bis existenziell: Mehrere Einrichtungen müssen ihr Angebot stark einschränken oder stehen unmittelbar vor dem Aus. Eine langfristige Finanzierungsperspektive besteht bislang nirgends.

Drohende Folgen: Aufnahmestopps, Therapieabbrüche, Schließungen

Bereits jetzt mussten einige PSZ, darunter Rostock und Greifswald, aufgrund des hohen Bedarfs, langer Wartelisten und der unsicheren Finanzierung Aufnahmestopps verhängen. Durch die geplanten Kürzungen drohen Therapie- und Versorgungsabbrüche bis hin zur Schließung ganzer Einrichtungen. In der Folge ist mit einer Zunahme von chronischen und akuten Krankheitsverläufen sowie Krisensituationen zu rechnen. Die Belastung wird sich auf Kliniken und Notaufnahmen verlagern und dort zusätzliche Kapazitäten binden.

„Wir haben über Jahre hinweg wertvolle lokale Strukturen und Netzwerke in strukturschwachen Regionen aufgebaut, die eine Versorgung fernab der Großstädte überhaupt erst möglich machen“, erklärt Joachim Rüffer, Vorstandsvorsitzender des PSZ Brandenburg (KommMit e.V.). „Diese Strukturen sind nun akut gefährdet und mit ihnen die spezialisierte Unterstützung für viele traumatisierte geflüchtete Menschen“, erläutert Rüffer weiter.

Psychosozialen Versorgungsnotstand abwenden

„Gerade in Ostdeutschland sind die medizinischen Regelsysteme schwer für Geflüchtete zugänglich. Ohne die psychosoziale Versorgung durch die PSZs bleiben traumatisierte Geflüchtete auf sich allein gestellt und ganze Landstriche unversorgt“, kritisiert Ulrike Wanitschke, Sozialarbeiterin und systemische Therapeutin beim PSZ Rostock.

„Um den psychosozialen Versorgungsnotstand für Geflüchtete in Ostdeutschland abzuwenden, ist es notwendig, die Mittel entlang des tatsächlichen Versorgungsbedarfs zu verteilen und Bundesmittel aufzustocken“, erklärt Carolin Kremer-Ebenau, Geschäftsführerin vom PSZ REFUGIO Thüringen. „Nur so können bestehende Versorgungslücken geschlossen und die dringend benötigte Stabilität in der psychosozialen Betreuung erhalten bleiben“, appelliert Kremer-Ebenau an die Verantwortlichen des BAMF und des Bundes.

Die ostdeutschen PSZ fordern daher eine bedarfsgerechte Verteilung der Fördermittel sowie eine angemessene Berücksichtigung struktureller Lücken in der ostdeutschen Versorgungslandschaft. Gemeinsam mit dem Bundesverband der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) setzen sie sich zudem für eine Aufstockung der Bundesmittel auf mindestens 27 Millionen Euro sowie der EU-Mittel um 30 Prozent, um die psychosoziale Versorgung Geflüchteter langfristig sichern zu können.

Hintergrund

Viele geflüchtete Menschen haben Krieg, Verfolgung, Gewalt oder den Verlust von Angehörigen erlebt. Ohne fachgerechte Unterstützung können diese Erfahrungen zu schweren psychischen Erkrankungen, sozialem Rückzug und dem Verlust von Selbstständigkeit führen. Besonders in der ersten Zeit nach der Ankunft in Deutschland ist der Zugang zum Gesundheitssystem häufig erschwert. Die Psychosozialen Zentren bieten spezialisierte Therapie, Beratung und Stabilisierung, oft in der Muttersprache und mit kulturund diskriminierungssensiblem Ansatz. Ihre multiprofessionelle Arbeit stärkt psychische Gesundheit, soziale Stabilität und gesellschaftliche Teilhabe. Frühzeitige psychosoziale Unterstützung beugt Chronifizierungen vor und verhindert, dass sich Belastungen in akute Krisen oder stationäre Behandlungen verlagern. Damit leisten die PSZ einen unverzichtbaren Beitrag zu Stabilität, Gesundheit und sozialem Zusammenhalt in der Gesellschaft.

PSZ Brandenburg (KommMit e.V.) PSZ Greifswald PSZ Neubrandenburg PSZ Rostock PSZ Sachsen PSZ Sachsen-Anhalt PSZ REFUGIO Thüringen

Pressekontakte: Victoria Kaiser, PSZ Brandenburg (KommMit e.V.), presse@kommmit.eu, 0176 148 306 14 Ulrike Wanitschke, PSZ Rostock, psz@oekohaus-rostock.de, 0152 040 433 01 Marie Lehmann für das PSZ Sachsen, psz@mosaik-leipzig.de Hanna Thorwarth, PSZ REFUGIO Thüringen, hthorwarth@refugio-thueringen.de, 0176 117 465 90