STIFTUNGSADVENTSPOST

Liebe Kolleg*innen, liebe Weggefährt*innen auf unserem Weg durch das Stiftungsjahr 2025,
Welcher Schlüssel passt bei Ihnen?
Wie lange dauert es, bis sich Ihre Tür nach innen öffnet und was muss man tun, um Zutritt zu ihrem Herzen zu bekommen?
Haben Sie sich mit einem komplizierten Schließsystem abgesichert? Oder gehören Sie zu der Sorte Mensch, bei denen die Herzenspforte immer offensteht? Man braucht nur antippen und steht mitten in Ihrem Seelen-Wohnzimmer.
Unser Schutz- und Sicherheitsbedürfnis ist unterschiedlich. Um einander näher zu kommen, brauchen wir sensible und individuelle Schließtechniken.
Wir haben Ihnen eine Geschichte mitgebracht. Darin geht es um den richtigen Schlüssel zu einem „Tischlerherzen“ und darum, wie zwischenmenschliches Geröll zu Goldstaub wurde, als das Gegenüber den passenden Schlüssel fand:
Der Junge und der Tischler
Als eine Jugendgruppe aus Schweden nach Bernburg kam, wurden die zehn Jugendlichen in kleinen Teams auf verschiedene Praktikumsstellen verteilt. Drei von ihnen sollten in der Holzwerkstatt arbeiten und dort ein Insektenhotel für die Ökostation in Neugattersleben bauen und aufstellen.
Einer dieser drei war ein Junge mit dunkler Hautfarbe aus Schweden – ruhig, aufmerksam und mit ehrlichem Interesse am Handwerk.
Als mein Kollege ihn dem erfahrenen Tischlermeister vorstellte und erklärte, dass der Junge für zwei Wochen in seiner Werkstatt lernen und mitarbeiten sollte, reagierte der Meister ungewohnt schroff.
Der Tischlermeister, kurz vor dem Rentenalter, hatte in seinem langen Berufsleben bereits mit vielen Jugendlichen zusammengearbeitet. Doch als er den Jungen mit dunkler Hautfarbe sah, zog er sich zurück und murmelte verärgert:
„Mit ihm arbeite ich nicht“, sagte er abweisend und verwendete dabei eine rassistische Beschimpfung, die mein Kollege bewusst nicht wiederholte.
„Such mir jemand anderen.“
Mein Kollege blieb ruhig und bat ihn eindringlich:
„Gib ihm eine Chance. Du kennst ihn noch nicht.“
Zögerlich stimmte der Tischler schließlich zu. So standen die beiden – der erfahrene, wortkarge Meister und der stille, neugierige Junge – anfangs schweigend nebeneinander in der Werkstatt. Doch mit jedem Tag, mit jedem gehobelten Brett und jedem sorgfältigen Arbeitsschritt schwand die Distanz.
Der Junge arbeitete konzentriert, lernte schnell und zeigte eine Begeisterung, die den alten Meister berührte. Schon nach wenigen Tagen begann der Tischler, ihn zu loben – erst zögerlich, dann mit echter Anerkennung. Schließlich nahm er den Jugendlichen sogar täglich nach Feierabend im Auto mit zurück zur Unterkunft. Einmal lud er ihn zu sich nach Hause ein, zeigte ihm stolz seine Vogelzucht und beschenkte ihn mit kleinen handgefertigten Dingen aus seiner Werkstatt.
Das gemeinsame Projekt – das Insektenhotel für die Ökostation – wurde zu einem Sinnbild für das, was in diesen zwei Wochen entstanden war: Respekt, Vertrauen und eine unerwartete Freundschaft. Der Tischler brachte dem Jungen alles bei, was in der kurzen Zeit möglich war, ließ ihn mit Werkzeugen arbeiten, die sonst niemand anrühren durfte, und erzählte ihm von seinem Leben, von Holz und Geduld.
Am letzten Tag standen sie gemeinsam vor dem fertigen Insektenhotel. Der Tischler legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und sagte leise:
„Ich habe etwas gelernt in diesen zwei Wochen – und nicht nur über Holz.“
Beim Abschied war er sichtlich bewegt. Der Junge fuhr nach Schweden zurück, mit neuem Wissen, neuen Erfahrungen – und einem kleinen Schlüssel, den ihm der Tischler als Andenken schenkte.
Ein Schlüssel, der für beide etwas aufgeschlossen hatte, das kein Werkzeug der Welt je hätte schaffen können.
Wir suchen in unseren menschlichen Beziehungen ständig nach den richtigen Schlüsseln: Zuhause, auf der Arbeit, in der Schule, in der Wohngruppe, im Kindergarten, in der Verwaltung… Am besten passen die Schlüssel bei den Menschen, die uns vertraut sind: „Hallo. Wie war dein Wochenende?“ „Endlich sehen wir uns wieder!“ „Ich habe mich schon so auf dich gefreut.“ passt sofort ins Schloss.
Es gibt Zeitgenossen, deren Herz gekränkt und verschlossen ist. Trotz sensibelster Handhabung dringen wir nicht durch. Wir probieren unsere Schlüssel-Palette durch: wir fragen, ob wir ihnen einen Kakao anbieten dürfen, machen einen Witz, erkundigen uns nach dem Befinden des Hundes, bemerken die neue Frisur, verschenken ein Bonbon, laden sie ein … nichts hilft.
In der Stiftung und ihren Gesellschaften besteht die Haupttätigkeit darin, Schlüssel zu suchen und passend zu machen. Wir sind so etwas wie ein Schlüsseldienst für Herzen. Wenn Kinder, Jugendliche, Eltern oder alleinstehende Erwachsene mit ihren Anliegen zu uns kommen, ist ihr Herz manchmal ganz zugeschnürt vor Angst, Scham, Trauer oder Wut. Es braucht Zeit, um in Verbindung zu kommen.
Die Christen unter uns glauben, dass es neben dem menschlichen Schlüsseldienst noch ein größeres Sicherungsnetz gibt, auf das wir setzen dürfen. Wir vertrauen darauf, dass jedes noch so beschädigte Menschenherz von etwas Größerem, als wir es ahnen können, beschützt und gehalten ist. Irgendwer hat den Generalschlüssel, der überall passt. Manchmal erscheint er in Form von Menschengestalt. Mitmenschen machen sich auf und werden selbst das Licht in der Finsternis.
Wir danken allen Mitarbeiter*innen der Stiftung und ihren Gesellschaften für ihre persönliche Schlüsselsammlung. Wir sind das Bodenpersonal in Menschengestalt.
Liebe Kolleg*innen, liebe Weggefährt*innen, halten Sie sich für Ihren Einsatz bereit und dann: werden Sie selbst das Licht in der Dunkelheit.
Ihre
Mike Keune, Anna Manser, Dietmar Linde


